
Universität Leucorea
1502 gründet Kurfürst Friedrich der Weise (Friedrich III.) die Wittenberger Universität Leucorea und setzt damit seinen Wunsch in die Tat um, Wittenberg zum geistigen Zentrum seines Kurfürstentums zu machen. Durch die Leipziger Teilung 1485 war sein Herrschaftsgebiet, das ernestinische Sachsen, ohne Hochschule. Das dürfte den gebildeten, frommen und an Musik und Kultur interessierten Friedrich deutlich gestört haben. Dass er gut ausgebildete Juristen für seine Landesverwaltung brauchte, gilt als ein weiteres bedeutendes Motiv für die Universitätsgründung. [1]
Am 06. Juli 1502 kommt es zur Unterzeichnung der Stiftungsurkunde durch Maximilian I.. Somit billigt er der Universität eine eigene Gerichtsbarkeit sowie Verwaltung zu. Die Neugründung nennt Friedrich nach griechischer Entsprechung von Wittenberg: "Leucorea". Dass die päpstliche Bestätigung erst 1507 erfolgte, deutet bereits auf eine Abwendung Friedrichs des Weisen von der katholischen Kirche hin, die sein Verhalten während der Reformation erklärbar macht. [2]
Die Leucorea im 16. - 18. Jahrhundert
Betritt man den Hof der ehemaligen Universität schreitet man zunächst durch ein Sandsteinportal, das so perfekt zwischen die Häuserzeilen passt, dass man meinen könnte, es wäre schon immer da gewesen. Doch der Schein trügt. Es stammt vom Haus Am Markt 3, dem Haus rechts neben dem Cranachhaus. Das Selfischhaus ist 1554 errichtet worden und mit ihm wohl dieses außergewöhnliche Portal. [3] Im Portalgiebel sieht man eine Sanduhr und einen Knaben, der auf einen Totenkopf fällt. Die Inschrift "Hodie mihi, cras tibi" lässt den Besucher fragend blicken, während der Kundige die Übersetzung weiß: "Heute mir, morgen dir". Eine häufige Inschrift meist auf Epitaphen der Renaissancezeit. [4] Seit 1950 (1956) hat das Portal seinen Platz am Collegium.
Wer nun die schmale Häuserflucht entlang geht, dem öffnet sich nach ein paar Metern der geräumige Hof mit dem dreiflügeligen Universitätskomplex. Das Grundstück erwarb Friedrich der Weise vor Baubeginn, um 1502, von zwei Bürgern und einer Bürgerin, die hier ihre Häuser zu stehen hatten. [5]
Im Originalhof des 16. Jahrhunderts (und darüber hinaus) würde man jetzt auf nur zwei Renaissance-Flügel mit Voluten- und Zwerchgiebeln und den schon vom Wittenberger Rathaus bekannten spätgotischen Vorhangfenstern blicken. Ein Campus, 1503 geplant und gebaut vom Steinmetzt Claus Heffner und dem Architekten und Baumeister Conrad Pflüger, der ebenfalls die Wittenberger Stifts- bzw. Schlosskirche Allerheiligen entwarf. [6]
- zwischen 1503 und 1507 wurde nach seinen Plänen zunächst das südliche Gebäude errichtet: das "Alte Kolleg" oder "collegium vetus". [7] Für den Bau mussten 1502 zunächst 3 Bürgerhäuser weichen. Ein Aufbau mit einer Laterne auf dem Satteldach, das Observatorium, bestimmte das prägnante Aussehen dieses Baus. [8]
- zwischen 1509 bis 1513 kam das "Neue Kolleg" oder "collegium novus", nördlich an der Collegienstraße gelegen, hinzu.
- ab 1517 gab es noch ein weiteres Gebäude auf der Westseite des Campus.
Brunnen der Universität
Ein Gemälde, das um 1644 entstand, zeigt das Universitätsgelände mit Original-Brunnen. Dieser Brunnen ähnelte stark dem Brunnen am Holzmarkt: Vier Säulen, die eine rundbogige Bekrönung tragen. [9] Er wurde um 1545 errichtet und speiste sich aus der letzten Portion Schlossröhrfahrt. Als die Universität 1817 aufgelöst und der Gebäudekomplex zur Kaserne umgebaut wurde, wich der Brunnen dem Exerzierplatz. [10]
Studentenzahl im 16. Jahrhundert
Innerhalb weniger Jahrzehnte entwickelte sich die Universität zu einer der gefragtesten Lehranstalten Europas. Anfangs blieb die Zahl der Studenten hinter den Erwartungen zurück. Etwa 400 Studenten waren in den ersten Jahren immatrikuliert. Das besserte sich, als der namhafte Jurist Christoph Scheurl das Rektorat antrat und in einem "Werbeprospekt" die Vorzüge eines Studiums in Wittenberg anpries. [2] Um 1510 schnellte die Zahl der Studenten in die Höhe und erreichte zwischen 1520 und 1580 den Höhepunkt mit den höchsten Einschreibungszahlen aller Universitäten in Deutschland. Im Jahr 1520 immatrikulieren sich 520 neue Hörer. [11] Einen nicht unbeträchtlichen Anteil dürften die beiden Gelehrten Martin Luther und Philipp Melanchthon haben. Denn wer als Student einen der beiden als seinen Professor nennen konnte, hatte ein Pfund, mit dem er wuchern konnte.
Den Höhepunkt von 3351 Immatrikulationen gab es zwischen 1565 und 1570. [12] Die ungarischen Studenten gehörten mit etwa 450 Einschreibungen zur stärksten Gruppe im 16. Jahrhundert. (Quelle: Ausstellung des Melanthonhauses, Beschreibung der ungarischen Fahne)
Die Leucorea im 19. Jahrhundert
Während der französischen Besatzung (Napoleonische Kriege) 1813 war die Universitätstätigkeit nach Bad Schmiedeberg verlegt worden. Nach dem Wiener Kongress 1815 bei dem der nördliche Teil Sachsens zur sächsischen Provinz Preußens wurde [13], kam es 1817 zur Auflösung der Universität Leucorea und damit zum Erliegen des Universitätsbetriebs in Wittenberg. Die Universität wurde mit der Universität in Halle zur "Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg" zusammengelegt.
Abriss und Neubau
Das preußische Wittenberg wandelte sich optisch immer mehr zu einer Garnisonsstadt. Die Wehranlagen wurden nochmals verstärkt. Das Schloss verwandelte sich zur Zitadelle und die Universität wurde zur Kaserne mit Exerzierhof.
- Für das Jahr 1842 ist der Abriss des Neuen Kolleg belegbar (nördlicher Flügel, an der Collegienstraße). Der Ersatzbau, die "Fridericianumkaserne" S.50, war bereits ein Jahr später fertiggestellt und diente unter anderem als Amtsgerichtsgefängnis. Im 20. Jahrhundert wurde es auch zu Wohnzwecken genutzt.
- Zwischen 1820 und 1840 komplett neu aufgebaut wurde der Ostflügel.
- Der Westflügel, über den es generell wenig zu sagen gibt, wurde nicht neu gebaut. [7]
Von dem gesamten Gebäudekomplex ist bis heute der Südflügel (das "Alte Kolleg") am besten erhalten geblieben. Die Umfassungs- und Binnenmauern, sowie der tonnengewölbte Kellerraum gehen auf die Gründungszeit zurück. [7]
Die Leucorea im 20. Jahrhundert
Während des 1. Weltkriegs (1914-1918) wurde das Neue Kolleg (Nordflügel) zur "Dörfurt-Kaserne" und beherbergte damals das 20. Infanterieregiment. [14]
Symbolik des Brunnens
Die strenge Sachlichkeit der ehemaligen Kasernengebäude die den Besucher empfängt, wenn er heute die Leucorea betritt, wird unterbrochen durch eine Brunneninstallation, die mehr ist, als nur eine Reminiszenz an den Original-Brunnen des 16. Jahrhunderts. Die wie zufällig zusammengewürfelten Steinquader symbolisieren die Lehrstühle der ehemaligen Universität. Die sieben Quader, außerhalb des durch einen Steinwall abgegrenzten Mittelbereich, stehen für die "Sieben Freien Künste" der artistischen Fakultät. Sie waren Zugangsvoraussetzung um die drei Fakultäten zu studieren. Sie werden mit drei Säulen im Zentrum des Steinwalls angezeigt. Die Höhe der drei Säulen zeigt dem Besucher die Gewichtung der Fakultäten. Erst wenn der Studierende mit dem Baccalaureus (Vorstudium) den Wall genommen hatte, standen ihm das Zentrum und somit das Studieren der Fakultäten zu Verfügung:
Fakultäten
- Theologie (höchste)
- Jurisprudenz/Jura
- Medizin (niedrigste)
Die Sieben freien Künste
Die Sieben Freien Künste bestehen bereits seit der Antike. Sie stehen für die Grundbildung eines "freien Mannes". Wir nennen sie an dieser Stelle einfach mal Abitur:
- Grammatik
- Rhetorik
- Dialektik
- Arithmetik
- Geometrie
- Musik
- Astronomie
1990 - heute
In einem katastrophalen Zustand haben sich die Gebäude befunden, beschreibt der damalige Rektor der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg den Zustand der einst stolzen Universität Anfang der 1990er Jahre.
Zu dieser Zeit wird bereits darüber diskutiert, die historischen Gebäude als Sitz einer Stiftung zu nutzen. 1995 wird sie gegründet. Zu diesem Zeitpunkt sind die Gebäude bereits teilsaniert mit ihnen etabliert sich in Wittenberg ein Ort für Tagungen. Nach und nach siedeln sich Istitutionen an wie das Institut für Hochschulforschung HoF, das Institut für deutsche Sprache und Kultur und der Aufbau einer reformationsgeschichtlichen Forschungsbibliothek wird vorangetrieben.
Dies und Das
- Vor dem Bau der Leucorea gab es bereits einen Studienbetrieb mit 416 Studenten in den Räumen des Augustiner- und des Franziskanerklosters [15]
- Die Collegienstraße hieß vor dem Bau des Collegium Fredericanums "Lange Straße". [16]
- In der Zeit zwischen der Gründung 1502 und der Zusammenlegung 1817 waren insgesamt 552 Hochschullehrer an der Wittenberger Universität Leucorea beschäftig. [17]
- Der Universitätsgründung gingen Gespräche mit Martin Pollich von Mellerstedt voraus, dem Leibarzt Friedrichs III., der anschließend Gründungsrektor wurde und dessen Apotheke Lucas Cranch im Jahr 1520 von den Erben Martin Pollichs abkaufte. [2]
- Samuel Selfisch war Verleger und Buchhändler, Errichter einer Papiermühle und Bürgermeister Wittenbergs.
Anmerkungen
Belege
- ↑ Wittenberg als Lutherstadt, S.52
- ↑ 2,0 2,1 2,2 TOURIST-Stadtführer, Luth. Wittenberg, S.13 - S.14
- ↑ Die Spuren der Leucorea, S.72
- ↑ Liste lateinischer Phrasen/H
- ↑ Der Beginn der Reformation 1517, S.62
- ↑ Konrad Pflüger
- ↑ 7,0 7,1 7,2 Die Spuren der Leucorea, S.27 - S.33
- ↑ Schriftenreihe des Stadtgeschichtlichen Museums Wittenberg 1, S.6
- ↑ Schriftenreihe des Stadtgeschichtlichen Museums Wittenberg 1, S.10
- ↑ Schriftenreihe des stadtgeschichtlichen Zentrums Wittenberg 13, S.28
- ↑ Lucas Cranach, Seine Leben, seine Welt und seine Bilder, S.100
- ↑ Ad fontes! Katalog zu Dauerausstellung, S.134
- ↑ Teilung des Königreiches Sachsen
- ↑ Die Lutherstadt Wittenberg und ihre Umgebung, S.52
- ↑ https://leucorea.de/die-leucorea/geschichte/
- ↑ Wittenberg. Alles ausser Luther, S.72
- ↑ Der Lehrkörper und die Studenten der LEUCOREA