
Gemeine Kasten
Im Zuge der Reformation, die mit Martin Luthers Thesenanschlag am 31. Okt. 1517 beginnt, vollzieht sich parallel eine gänzlich neue Wahrnehmung sozialer Aspekte. Sie führt zu einer der ersten Sozialkassen weltweit, die der "Gemeine Kasten" genannt wird.
Vorüberlegung
In seinen 95 Thesen fordert Martin Luther, dass gezahlter Ablass besser den Armen und Bedürftigen gegeben werden sollte. In seinen Thesen heißt es unteranderem:
41–44: Das Kaufen der Ablassbriefe hat nichts mit Nächstenliebe zu tun, auch befreit es nur teilweise von der Strafe. Wichtiger sind gute Werke der Nächstenliebe wie Unterstützung für Arme oder Hilfsbedürftige. 45–49: Wer einem Bedürftigen nicht hilft, aber stattdessen Ablass kauft, handelt sich den Zorn Gottes ein.
Weiter heißt es in seiner Schrift von "Sermon und Wucher" aus dem Jahr 1519:
... sollte billich keyn bettley unter den Christen seyn ... (es solle keine Bettelei unter den Christen geben)
Luther fordert, dass jede Stadt, nach Prüfung der Bedürftigkeit, seine Armen ernährt. [1]
Gemeine Beutel
Zunächst wird im Jahr 1520/21 die Ordnung für einen "Gemeinen Beutel" aufgestellt. Tatsächlich handelt es sich anfangs um einen einfachen Stoffbeutel, in dem Almosen bzw. Spenden gesammelt werden.
Bald kommen noch Zinserträge der Gotteshäuser, der Bruderschaften und Gewerke und Pristerlehen hinzu, die den Gemeinen Beutel füllen.
Gemeine Kasten ab 1523
Ab 1523 gibt es den Gemeinem Kasten, der als eigenständige Institution noch eine Zeit lang neben dem Gemeinen Beutel betrieben wird. Beide Armenkassen werden 1524/25 vereinigt. Sie tragen von da an einen Namen: Gemeiner Kasten. Die metallene Truhe, die über einen aufwendigen, dreischlossigen Mechanismus zu öffnen ist, kann nur gleichzeitig von 3 "Kastenherren" mit 3 unterschiedlichen Schlüsseln entsperrt werden.
Ab 1533 befindet sich der Gemeine Kasten auf Befehl des Kurfürsten Johann Friedrich dem Größmütigen in der Kapelle zum Heiligen Leichnahm, direkt neben der Stadtkirche St. Marien. [2]
Einnahmen
Einnahmen für den Gemeinen Kasten wurden generiert durch:
- säkularisiertes bzw. verweltlichtes (religionsloses) Kirchenvermögen
- Zinsen von Bruderschaften
- Verkauf des Inventars von Klöstern
- Kirchen-, Haus- und Büchsensammlungen
- Verkauf von Getreide
- Rückzahlung von Darlehen
- Kasten-, Hufen- und Opfergeld
- Testamentszuschreibungen
- Hinterlassenschaften Verstorbener
- Spenden [3]
- Vererbung
- Steuereinnahmen [4]
Verwendung der Einnahmen
- Finanzierung von Schulbildung für Waisenkinder und von Kindern armer Leute.
- Unterstützung beim Erlernen eines Handwerks.
- Unterstützung eines Studiums.
- zinslose Geldanleihen für Handwerker.
- Unterstützung von Bürgern in hoher Zahlungsschuld.
- Martin Luther wurde im Jahr 1534 aus dem Gemeinen Kasten 7 Schock (20 Gulden) geliehen. [2]
- Unterstützung des Heilig-Geist- und Heilig-Kreuz-Hospitals in Wittenberg.
- Unterstützung von Hebammen.
- Unterstützung von Krankenwärterinnen und -wärtern.
- Unterstützung erhielten Schwangere, Wöchnerinnen und kinderreiche Frauen.
- Arme Pilger erhielten oftmals ein Zehrgeld aus dem Gemeinen Kasten.
- Pestinfizierte erhielten Betreuung, Medikamente, Speisen und Holz zum Heizen, was ebenfalls aus dem Gemeinen Kasten finanziert wurde.
- Unterstützung von Geisteskranken.
Dies und Das
- Erstmals wird mit einer Vereinbarung zwischen der Handwerksgesinnung der Schneider und dem Heilig-Kreuz-Hospital, den Angehörigen der Innung gegen eine regelmäßige Mietzahlung ein Extraraum reserviert. Die erste Arbeitsunfähigkeitsversicherung wenn man so mag. [5]
Anmerkungen
Belege
- ↑ Lutherstadt Wittenberg, Geschichten - Gestalten - Geschichte, S.143 - S.144
- ↑ 2,0 2,1 Lutherstadt Wittenberg, Geschichten - Gestalten - Geschichte, S.146 - S.147
- ↑ Lutherstadt Wittenberg, Geschichten - Gestalten - Geschichte, S.148 - S.149
- ↑ Leisniger Kastenordnung
- ↑ Lutherstadt Wittenberg, Geschichten - Gestalten - Geschichte, S.150